von jop am Mi 12. Jul 2017, 14:23
Hier für Euch ein Beitrag aus dem Manager-Magazin
Warum Kapitalismus-Kritik immer mehr Anhänger findet
Von Christoph Rottwilm im Manager-Magazin
In Hamburg prallen zurzeit nicht nur Polizei und Demonstranten aufeinander, sondern auch Meinungen über das Weltwirtschaftssystem
Verbessert der Kapitalismus die Welt? Die Zweifel wachsen, ob unser Wirtschaftssystem wirklich den Wohlstand für alle fördert. Während gewalttätige Chaoten verurteilt werden müssen, verdienen diejenigen, die friedlich gegen Kapitalismus demonstrieren, durchaus Gehör.
G20-Gipfel in Hamburg - da prallen nicht nur auf den Straßen der Hansestadt Welten aufeinander, wo sich schon seit Anfang der Woche Polizei und Demonstranten unversöhnlich gegenüberstehen. Auf der einen Seite die Befürworter des Kapitalismus, und auf der anderen dessen Gegner - so lässt sich, stark vereinfacht, die Gemengelage aus ökonomischer Sicht beschreiben.
Aber wer hat recht? Es hilft zunächst ein Blick auf die Grundzüge der Argumentation.
Die Freunde des Kapitalismus sagen: Versehen mit den richtigen Regeln und Rahmenbedingungen kann dieses Wirtschaftssystem zu mehr materiellem Wohlstand für alle führen. Und davon profitieren angeblich insbesondere auch jene, die selbst am wenigsten zu eigener wirtschaftlicher Leistung imstande sind.
Dagegen halten die Kapitalismus-Gegner (ebenfalls stark vereinfacht): Dieses System basiert auf Egoismus und der Maximierung des persönlichen Nutzens. Das hat zur Folge, dass einige wenige Privilegierte die große Mehrheit der Bevölkerung ausbeuten, um sich selbst immer weiter zu bereichern. Weil dabei der materielle Profit so sehr im Zentrum des Strebens steht, kommen zudem die eigentlich wichtigeren Ziele der Gesellschaft wie die Verbesserung des Gemeinwohls oder der Schutz des Lebensraums Umwelt allzu häufig zu kurz.
Wohlstand ist ungleich verteilt - und die Erde wird ausgebeutet
Soweit die Theorie, in der, wie es scheint, beide Seiten einen Punkt machen. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Lebenssituation vieler Menschen verbessert, und ein Grund dafür war zweifellos das Wirtschaften auf größtenteils kapitalistischen Grundlagen, inklusive voranschreitender Globalisierung. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Denn der genaue Blick zeigt die Schattenseiten dieser Entwicklung. Viele Probleme in der Welt - auch wirtschaftliche - sind nicht nur noch immer ungelöst, sie scheinen sich zum Teil vielmehr sogar zu verschärfen. Ein Beispiel ist die materielle Ungleichverteilung in der Weltbevölkerung, ein anderes der voranschreitende Klimawandel.
Der Grund für diese Missstände: Der Kapitalismus hat tatsächlich, wie von seinen Kritikern betont, einige grundlegende Charakterzüge, die für sein dauerhaftes Bestehen unabdingbar scheinen. Diese Merkmale jedoch tragen bestenfalls zum Erfolg einzelner Individuen in dem System bei. Dem Allgemeinwohl dagegen sind sie alles andere als zuträglich - eher schaden sie ihm.
Die wohl wichtigsten Schwächen lassen sich auch an der Börse, der Herzkammer des kapitalistischen Systems, gut beobachten.
Keine Moral, keine Vernunft, keine Gemeinschaft
Keine Moral
Um die Situation einzelner Menschen sowie der Allgemeinheit verbessern zu können, ist es notwendig, zu definieren, was eigentlich "gut" und was "schlecht", was "richtig" und was "falsch" ist. Eine Gesellschaft, die positiv vorankommen will, benötigt also bestimmte Wert- und Moralvorstellungen.
Das wirtschaftliche Geschehen im Allgemeinen und der Aktienhandel im Speziellen kennen jedoch keine Moral. Stattdessen steht in der Regel der wirtschaftliche Erfolg, gemessen an Umsatz und Profit, im Vordergrund.
Bester Beleg dafür: Kriegsgegner kritisieren milliardenschwere Rüstungsdeals, wie sie beispielsweise der amerikanische Präsident Donald Trump vor einigen Monaten in Saudi-Arabien abschloss, weil diese letztlich zu Leid und Tod vieler Menschen beitragen werden. Die Aktienkurse amerikanischer Rüstungsfirmen wie Northrop Grumman Börsen-Chart zeigen, Lockheed Martin Börsen-Chart zeigen oder Raytheon jedoch zogen nach Abschluss der Verträge kräftig an. Denn es gibt nicht wenige Investoren, die bei den Waffengeschäften der Konzerne mitverdienen wollen.
Weitere Beispiele, die zeigen, dass Moral in der Wirtschaft allzu häufig nur eine Rolle spielt, solange sie dem kommerziellen Erfolg nicht im Wege steht, lassen sich mühelos finden: Seien es die Geschäfte der Banken, die zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 geführt haben, seien es die Geschäfte, die Konzerne in China machen, obwohl dort Menschenrechte nach wie vor missachtet werden, sei es nicht zuletzt auch Volkswagens Abgasskandal.
Dazu passend äußerte sich jüngst auch der Münchener Soziologe Stephan Lessenich in einer Titelgeschichte des SPIEGEL, demzufolge es ein verhängnisvolles Nord-Süd-Gefälle in der Welt gibt. Die Bürger im Norden lebten auf Kosten der Menschen im Süden, sagt er. Sie lagerten die schmutzigen Teile der Produktion einfach zu ihnen aus. "Unser Überfluss raubt anderen die Lebensgrundlage", so der Wissenschaftler.
Keine Vernunft
Die Fähigkeit zu vernünftigem Verhalten ist etwas, das den Menschen von den meisten anderen Lebewesen unterscheidet, und das es ihm ermöglicht, bewusst und gezielt die Lebensumstände jedes Einzelnen und der Allgemeinheit zu verbessern - jedenfalls theoretisch. Vor allem in der wirtschaftlichen Praxis wird menschliches Verhalten von Vernunft jedoch lediglich in etwa so selten geleitet, wie von ausgeprägten Moralvorstellungen. An ihre Stelle tritt vielmehr das Streben nach Profit.
Ein Beleg dafür: In einer rein auf vernünftigen Entscheidungen basierenden Welt könnten Waffenhersteller in den USA ihre Produkte wohl schon längst nicht mehr an jedermann verkaufen, würden auch Konzerne wie Coca-Cola oder McDonald's sowie die komplette Tabakindustrie sicher keine Milliardenumsätze machen, und wäre die Rüstungsbranche weltweit längst kollektiv in die Pleite entschwunden.
Keine Gemeinschaft
Das dürfte das eigentlich größte Manko des kapitalistischen Wirtschaftssystems sein: Es basiert nicht auf dem Grundgedanken des Miteinander, sondern des Gegeneinander. Das dabei auf Dauer vor allem Vorteile für einzelne Parteien und weniger für die gesamte Gesellschaft entstehen können, liegt auf der Hand. Auch US-Präsident Donald Trump richtet seine Außen- und Wirtschaftspolitik darauf aus, bei jedem "Deal" den größtmöglichen Nutzen für die USA herauszuschlagen.
Globale Konzerne kassieren Milliarden - und vermeiden Steuern
Firmen und andere Akteure des Wirtschaftslebens versuchen zwar gerne, darüber hinweg zu täuschen, doch das ändert nichts daran: In der Wirtschaft ist jeder sich selbst der nächste. Schlimmer noch: Jeder kämpft gegen jeden. Unternehmen gegen den Staat (beispielsweise, wenn es darum geht, mit bestmöglichen Firmenkonstruktionen à la Apple Börsen-Chart zeigen, Google Börsen-Chart zeigen oder Facebook Börsen-Chart zeigen so viel wie möglich Steuern zu sparen). Unternehmenslenker gegen ihre Mitarbeiter (beispielsweise bei der Verteilung der Erträge, bei der etwa im deutschen Aktienindex Dax die Vorstandsmitglieder 50 mal mehr abbekommen als die Vertreter der einfachen Belegschaft). Oder einzelne Unternehmen sogar gegen ihre Kunden (beispielsweise bei der Gestaltung von Produktwerbung am Rande der Irreführung, durch die Konsumenten zu Käufen von Dingen veranlasst werden sollen, die sie eigentlich gar nicht brauchen). Kein Kaufvertrag käme zustande, keine Dienstleistung in Anspruch genommen, wenn sich dabei nicht stets zwei Parteien gegenüberstünden, von der jede das Gefühl hat, der Deal wäre vor allem zum eigenen Vorteil.
Auch dieser Punkt lässt sich an der Börse besonders gut demonstrieren: Der Aktienmarkt ist zwar theoretisch transparent und eröffnet allen die gleichen Chancen. In Wahrheit gibt es aber kaum einen Ort, an dem es mehr darum ginge, Gewinne auf Kosten anderer zu machen, als die Börse.
Aktuelles Beispiel: Die Commerzbank Börsen-Chart zeigen. Am Freitag wurde bekannt, dass der US-Investor Cerberus einen Einstieg bei dem Geldinstitut erwägt, was dem Aktienkurs spontan ein Plus von rund 3 Prozent verschaffte. Auffällig ist allerdings auch, dass die Aktie in den Tagen zuvor, als die Nachricht offiziell noch gar nicht auf dem Markt war, bereits um mehr als 15 Prozent zugelegt hat. Wussten da womöglich wenige bereits, was die meisten anderen noch nicht wussten?
Kurzum: Keine Moral, keine Vernunft, keine Solidarität - diese drei großen Schwächen muss sich der Kapitalismus anlasten lassen. Selbstverständlich ist zwar jedes System nur so gut, wie die Menschen, die es mit Leben erfüllen. Es kommt also stets auf jeden einzelnen an, sich moralisch korrekt, vernünftig und solidarisch gegenüber seinen Mitmenschen zu verhalten.
Dennoch: Ein auf Dauer funktionierendes Wirtschaftssystem, in dem die menschlichen Schwächen keine so verheerenden Folgen haben könnten, wäre zweifellos wünschenswert. Es wurde nur leider noch nicht erfunden.
Schon eine ordentliche Analyse - sicher mit einigen Schwächen. Dennoch fällt das Fazit schwach aus. Die Menschen werden immer nach dem Besseren und Gerechterem suchen und solches auch finden. Die Weltgeschichte bleibt nicht stehen - denn "die Erde dreht sich" wohl doch.