Die Abwrackprämie - wer zahlt tatsächlich die Zeche

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Die Abwrackprämie - wer zahlt tatsächlich die Zeche

Beitragvon sachsenjäger am Mo 11. Mai 2009, 12:58

Die Abwrackprämie – wer zahlt tatsächlich die Zeche?
Ralf Julke
10.05.2009

Wer jetzt noch immer glaubt, es sei der Bürger der gebeutelten Republik, der über Wohl und Wehe und Geldausgeben entscheidet oder dessen Lage dabei eine Rolle spielt, der irrt. Auch im Fall der so massenwirksamen "Abwrackprämie". Wirtschaftsforscher haben nachgerechnet.

Was im Grunde auch Verwaltungen hätten tun können – etwa das Bundesfinanzministerium. Aber beim Populismus hört augenscheinlich der Sachverstand auf. Dann geht es nur noch im Bierseidel, Applaus im Ballsaal und ein paar zufriedene Herren, die beschwingten Schrittes und mit nassen Taschentüchern in der Aktentasche wieder die Lobby verlassen. Der plattgeredete Politiker ist die Heulsusen los, der Wähler glaubt sich beschenkt – aber: Wer zahlt die Zeche?

Etwa wenn die Bundesregierung 5 Milliarden Euro auslobt, um einen scheinbar zusammenbrechenden Automarkt zu retten. Etwas, was auch der deutschen Bundesregierung im Jahr 2007 nicht eingefallen wäre, obwohl da schon die Autoabsätze zusammenbrachen. Was vorherzusehen war. Denn ein Argument war von Anfang an falsch: dass die Finanzkrise an der Krise der Autobranche schuld gewesen sei.

Der Mix ist komplexer und hat wesentlich mehr mit den explodierenden Energiepreisen der Jahre 2006 bis 2008 zu tun und dem gewachsenen Bewusstsein der Käufer für die schlichte Tatsache, dass ein Spritfresser auch zugleich ein (Tank-)Geldfresser ist. Dazu kam, was im Grunde zum Ruhme insbesondere der deutschen Autobauer gereicht: Die Nutzdauer der Fahrzeuge ist auch durch deutlich bessere Qualität gewachsen, hat sich in den letzten 20 Jahren nicht nur verdoppelt, sondern in einigen Segmenten sogar verdreifacht. Übrigens auch zum Leidwesen der Kfz-Werkstätten: Was nicht kaputt geht, muss auch nicht repariert werden.

Die logische Folge: Der Autoabsatz muss sich zwangsläufig verringern, womöglich sogar halbieren, selbst dann, wenn der gefahrene Bestand stabil bleibt. Das konnten auch deutsche Autobauer bislang durch steigende Exporte kompensieren. Doch auch das hat Grenzen. Ressourcen sind endlich. Auch in China. Und erst recht in den so lange spritvergeudenden USA.

Der Markt stand schon 2008 kurz vor seiner Sättigung. Damit erging es ihm ganz ähnlich wie dem Markt für Computerchips. Eine Tatsache, die in den Köpfen von Managern, die im Geiste des heiligen Dauerwachstums erzogen wurden, einfach keinen Platz findet: Was tun, wenn der Markt satt ist? Wie passt man sein Unternehmen dieser unausweichlichen Grenzsituation an?

Man darf alle Managerschulen des Landes besuchen: Dieser knifflige Fall, der kein Sonderfall ist, wird nicht gelehrt. Nur die Methoden kommen zur Sprache, die man dann für gewöhnlich anwendet: Fouls, Knockouts, Bashing, Dumping, Erpressung, Markt"bereinigung", Verdrängung, Übernahme usw. – Man schafft sich die leidige Konkurrenz durch Methoden vom Hals, wie sie schon der selige John D. Rockefeller angewandt hat. Bis der Staat die Reißleine zog und seine Standard Oil Company zerlegte.

Die "Abwrackprämie" ist ganz im Sinne eines Staatsdenkens entstanden, das glaubt, Autokonzerne retten zu müssen, die sich seit über zehn Jahren weigern, sich veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Das Motto dabei: Die Umsätze ankurbeln und die Leute animieren, dass sie die alten Autos verschrotten. Als "Mittel der Konjunkturstabilisierung" wurde das verkauft.

Dass es die einseitige Bevorzugung eines reformunwilligen Industriezweiges gegenüber anderen ist, das zeigt erst die genaue Rechnung.

Die haben dann – da denn belastbare Angaben über die Alters-, Marken- und Typenstruktur der abgewrackten Pkws bislang fehlen – Ulrich Blum und Sabine Freye vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle dieser Tage einfach mal anhand der vorliegenden Zahlen vorgenommen.

Erste Zahl: Die Abwrackprämie wird den Staat bei vollständiger Ausschöpfung durch 2 Millionen Pkw-Zulassungen rund 5 Milliarden Euro kosten. Bezogen auf den durchschnittlichen jährlichen inländischen Pkw-Absatz der letzten neun Jahre von 3,3 Millionen Pkw ergibt das eine Förderquote von fast zwei Dritteln (61 %).

Das klingt dann meist so, als würden 2009 damit 2 Millionen Autos mehr gekauft. Oder als sei der Einbruch tatsächlich so gewaltig, dass in dieser Größenordnung der Markt wegbrach. Ist aber nicht der Fall: "Geht man von dem starken Absatzeinbruch des Januars 2009 in Höhe von 14 % gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres aus, so würde sich auf dem Weg der einfachen Fortschreibung aufs Jahr gerechnet in Deutschland ein Minderabsatz von rund 436.000 Pkw ergeben", schreiben Blum und Freye. "Als Konsequenz dieser Annahme wären etwas über 1,5 Millionen der jetzt geförderten Fahrzeuge auch ohne die Einführung der Abwrackprämie gekauft worden."

Das Wort "Milchmädchen" benutzen sie nicht. Das hätte dann vielleicht Bundeskanzlerin und Finanzminister geärgert. Denn anders als mit der Zahl 2 Millionen unterstellt, wäre der Markt wohl nicht auf 1,2 Millionen Euro eingebrochen, sondern hätte sich im Dezember 2009 irgendwo bei 2,7 Millionen Fahrzeugen eingependelt. Für das komplette Netzwerk der Autobauer natürlich eine kleine Katastrophe. Wie gesagt: In dieser Szenerie hat man nicht einen Gedanken daran verschwendet, sich auf einen Markt einzustellen, in dem der "fahrbare Untersatz" nicht drei oder vier, sondern mittlerweile acht bis zehn Jahre gefahren wird – ohne größere Blessuren.

Man nennt so etwas dann Nachhaltigkeit. Nur das wilde, uferlose Wachstum der Vergangenheit ist dann vorbei. Endgültig. Da funktionieren die alten Geschäftsmodelle nicht mehr.

Nur fiktiv entstehen dem Bundeshaushalt durch die "Abwrackprämie" zusätzliche Einnahmen von insgesamt rund zwölf Milliarden Euro: 5,5 Milliarden Euro an Mehrwertsteuereinahmen sowie 6,3 Milliarden Euro aus Steuern und Abgaben aus der dem Absatz vorgelagerten Produktionsverflechtung (Multiplikatoransatz).

Weil aber tatsächlich nur 436.000 Pkw "zusätzlich" gekauft werden, bleiben aus dieser Summe nur 3,8 Milliarden Euro auf der Haben-Seite stehen. Der "Rest" wäre sowieso gekommen.

Aber dafür löst die "Abwrackprämie" echte Verdrängungseffekte für andere Wirtschaftszweige aus. Denn Geld kann halt nur einmal ausgegeben werden.

Die Autoren: "Infolge des hohen Importanteils bei der Fahrzeugproduktion liegt der direkte fiskalische Effekt (für Steuern und Abgaben) pro 1.000 Euro für Pkw-Käufe bei rund 220 Euro. Addiert man die entsprechende Mehrwertsteuer von 190 Euro, so ergeben sich 410 Euro an Mittelzuflüssen für den Staat"

Würde der Betrag von 1.000 Euro freilich entsprechend der üblichen Ausgabenstruktur der Haushalte verwendet, dann läge zwar das Steuer- und Abgabenaufkommen mit 400 Euro deutlich höher, aber der wirksame Mehrwertsteuersatz läge bei nur knapp 10 %, sodass sich für den Fiskus Einnahmen von 500 Euro ergäben.

Der gesamte fiskalische Effekt aus der Verdrängung dürfte sich für Deutschland insgesamt bei etwa 50 Euro pro 1.000 Euro Ausgaben, also bei 5 %, bewegen. "Aufgrund des Volumens der Allokationsverschiebung sind das bei den echt durch die Prämie ausgelösten Käufen (also dem “Lenkungseffekt“) von unterstellten 500.000 Pkw etwa 400 Millionen Euro. Weiterhin verlieren Mitarbeiter in den Werkstätten ihre Arbeit. Dieser Effekt wird mit 100 Millionen Euro beziffert."

Macht also 5 Milliarden Euro minus die 3,8 Milliarden, die der "Zusatzeffekt" der "Abwrackprämie" tatsächlich bringt, plus die Minder-Steuer-Einnahmen, weil die Leute Autos statt Klamotten, Geschirr oder Staubsauger kaufen, jene genannten 400 bis 500 Millionen Euro. Summa summarum also: "Der fiskalische Schaden der Abwrackprämie dürfte sich somit auf etwa 2,6 Mrd. Euro belaufen."

Der hier benannte Fiskus ist aber eben nicht der kleine, taffe Finanzbeamte, der immer so freundliche Mahnungen schreibt. Der zahlt den ganzen Spaß eben nicht. Den zahlt Bürger Steuerzahler. Und zwar mit jedem Cent, den er irgendwo versteuert, ein wenig.

2,6 Milliarden Euro, die alle Steuerzahler in diesem Jahr zum Erhalt eines nicht nachhaltig arbeitenden Wirtschaftszweiges berappen müssen. Ob sie nun Auto fahren oder nicht.

"Auch heute ist völlig offen, wann sich der Markt selbst stabilisiert hätte, welche Steuerausfälle die Folge gewesen wären und ob damit Deutschland als Standort der Pkw-Erzeugung ein langfristig irreversibler Schaden zugefügt worden wäre", schreiben die beiden IWH-Mitarbeiter noch. Und verbreiten einen wissenschaftlich nicht begründbaren Optimismus: "Wenn die deutsche Fahrzeugindustrie an ihre alten Erfolge anknüpfen kann, dann wird man im Rückblick die Abwrackprämie als eine ordnungspolitisch problematische, aber wirksame Versicherungsprämie bezeichnen können."

Im Gegenteil: Die 5 Milliarden Euro wären für einen radikalen Sofort-Umbau der Branche viel besser eingesetzt gewesen. Stattdessen verzögern sie den notwendigen Umbau um ein weiteres wertvolles Jahr und bestätigen ein paar gut betaschentuchte Vorzimmer-Besucher in ihrer unverrückbaren Meinung, es ginge mit dem Autobau immer so weiter.

www.iwh-halle.de
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