Das Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft

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Das Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft

Beitragvon frst am Di 3. Mär 2020, 12:38

Das Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft rückt näher. Was hat sie bisher bewirkt? Was will sie als Regierungschefin noch erreichen? Und was ist ihr Vermächtnis? Eine Bilanz.

Schon oft wurde ihr vorzeitiger Abtritt vorhergesagt, vor allem, wenn die Koalition mit der SPD wieder einmal wackelte. Aber nach mehr als 14 Jahren ist Angela Merkel immer noch Bundeskanzlerin. Und sie will weitermachen, bis zum Ende der Legislaturperiode. Trotz aller Kritik an der Arbeit der Großen Koalition und auch Ihrer zunehmenden Führungsschwäche wünscht Sie sich unbeschadet bis 2021 im Kanzleramt zu verbleiben.

"Sie kennen mich" ist einer der Merkel-Sätze, mit dem sie schon im Wahlkampf 2013 für sich warb. Er bedeutet: Auf mich ist Verlass. Bei mir weiß man, woran man ist. Der Satz zeigte auch, wie stark Merkel selbst im Mittelpunkt der politischen Debatte stand, wie sehr ganze Wahlkämpfe auf ihre Person zugeschnitten waren.

Dramatische Veränderungen ergaben sich.

Deutschland und die Welt sind längst nicht mehr, was sie 2005 waren, als Merkel zum ersten Mal Kanzlerin wurde. In Deutschland ist die Politik so polarisiert wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In allen Bundesländern ist die rechtspopulistische AfD in den Parlamenten vertreten, im Osten oft als zweitstärkste Kraft, im Bundestag ist sie stärkste Oppositionspartei. Die alten Volksparteien, wie Merkels CDU und noch mehr die SPD, haben massiv an Zustimmung verloren.

Bei Wahlen im Osten Deutschlands kommt die AfD heute Merkels CDU gefährlich nahe oder überholt sie sogar.

Auch international ist die Lage deutlich fragiler geworden. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei", sagte Merkel 2017, als der neue US-Präsident Donald Trump den Sinn der NATO infrage stellte. Ein Jahr zuvor hatte eine knappe Mehrheit der Briten für einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU gestimmt.

Spätestens seit Brexit-Votum und Trump, glaubt der Merkel-Biograph Ralph Bollmann, sehe Merkel "eine sehr ernste Krise der westlichen Demokratien". Merkels Ziel für die letzten Monate ist, unbeschadet im Amt zu verbleiben".

Der britische Premierminister Boris Johnson und US-Präsident Donald Trump stehen für eine Welt, die Merkel nie wollte und auch mit "allen Mitteln" dagegen anzukämpfen versuchte. Das blieb erfolglos, weil Sie ihre Kraft dabei völlig überschätzte.

Eine große Visionärin war Merkel nie. Eklatant ist der Unterschied etwa zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Nach einer Reihe von EU-Reformvorschlägen, die mehr oder weniger an Merkel abprallten, mischte er zuletzt mit seinem "Hirntod"-Kommentar zur NATO die Debatte auf.

Hinter vorgehaltener Hand wünschen sich viele aus Merkels eigener Partei, sie möge sich wenigstens ein bisschen von Macrons Führungslust anstecken lassen und, statt Krisen schlicht "auszusitzen", mehr eigene, deutsche Akzente setzen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron stellt Angela Merkel auf der diplomatischen Bühne in den Schatten.

Dennoch hat Angela Merkel einiges verändert, schon dadurch, dass sie in einer einst patriarchalischen Partei als Frau Karriere machte. Die Bezeichnung "Feministin" lehnt sie für sich bis heute ab. "Ich möchte mich nicht mit falschen Lorbeeren schmücken", erklärte sie in einem "Zeit"-Interview. Im Bundestag ist der Frauenanteil in den 14 Jahren ihrer Kanzlerschaft sogar deutlich gesunken, von 42 auf 31 Prozent.
Wenn Angela Merkel Sätze wie "Die Quoten waren wichtig, aber das Ziel muss Parität sein!" sagt, dann verschweigt sie, dass sie Forderungen aus ihrer eigenen Partei nach einer Frauenquote im Parlament blockiert hat. Frauen hat Sie für ihre Arbeit immer wieder geschickt genutzt: Ihre einst angedachte Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Alles Frauen, die mehr oder minder verschlissen wurden. Die Bauernopfer gehen langsam aber sicher aus.

"Sie kennen mich", das suggerierte auch Konstanz. Tatsächlich entscheidet sie aber flexibel, vor allem "pragmatisch, aus der politischen Konstellation heraus", wie ihr Biograph Bollmann sagt. Als Physikerin glaubte sie an die Kernkraft - und beschloss nach dem schweren Atomunfall im japanischen Fukushima, aus der Atomkraft auszusteigen. Sie ließ eine Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare trotz eines "schlechten Bauchgefühls" zu. Und unter ihrer Regierung wurde die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt.

Doch nichts war und blieb bis heute so umstritten wie Merkels Entscheidung 2015, Deutschlands Grenzen für Hunderttausende Flüchtlinge offen zu halten. Das Parlament ließ sie dabei außen vor. Die AfD schoss sich regelrecht auf Merkel ein. Als es zu Gewalttaten durch Flüchtlinge kam, hieß es von der AfD, das seien "Merkels Tote". Für die einen wurde sie zur Hassfigur, für die anderen zur Retterin der westlichen Welt. Die Zeitschrift "Time" kürte sie Ende 2015 zur Person des Jahres, während rechte Demonstranten im eigenen Land "Merkel-muss-weg"-Spruchbänder hochhielten. Längst nicht jeder war und ist mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik einverstanden.

Das Vertrauen ins politische System schwindet zunehmend und auch beängstigend.

Zahlen einer Allensbach-Umfrage vom Herbst 2019 zeigen, dass auch im eigenen Land das Vertrauen in die Politik schwindet. Nur noch 57 Prozent der Befragten sehen Stabilität als eine Stärke Deutschlands, 2015 waren es noch 81 Prozent. Und das bestehende politische System beurteilen gerade einmal 51 Prozent als Stärke der Bundesrepublik – nach 62 Prozent vor vier Jahren.

Was wird Merkels Vermächtnis sein? Bollmann glaubt, die Kanzlerin würde sich "gern als die Frau sehen, die Deutschland durch viele Krisen – Finanzkrise, Eurokrise, Ukraine-Krise, Flüchtlingskrise – relativ sicher geführt und die Stabilität des Systems einigermaßen bewahrt hat, daneben, das Land und die Partei liberaler, offener gemacht zu haben, allerdings um den Preis, dass wir jetzt eine rechtspopulistische Partei im Bundestag haben, die die Opposition gegen diese Form von Wertewandel verkörpert". Wenn das nicht alles einmal die Deutschen wieder einholt.

Viel Zeit für Gestaltung hat Angela Merkel nicht mehr, und mit ihrem langsamen Rückzug aus der Tagespolitik gibt sie zu verstehen, dass sie zumindest innenpolitisch auch nicht mehr viel gestalten kann. Deutschland steht aber vor großen Herausforderungen, wenn es nicht in 2020 oder spätestens 2021 in eine fürchterliche Strukturkrise geraten will. Das Lebenswerk der Angela Merkel wäre dann zerstört und die Kanzlerin endet vorzeitig in einem schrecklichen Desaster. Den meisten Staatsmännern und -Frauen ist es nicht besser ergangen, da ihre Uhr längst abgelaufen war und sie nur noch in ihrer eigenen Welt lebten.

Quelle: DW
frst
 
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