Was stimmt da in Deutschland nicht?

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Was stimmt da in Deutschland nicht?

Beitragvon Hansa am Mi 5. Jul 2017, 17:14

In der Welt las ich vor wenigen Stunden den folgenden Beitrag:

"Die Hamburger Polizei hat am Mittwochmittag mit der Errichtung der Durchlassstellen an der Sicherheitszone um die Messehallen anlässlich des bevorstehenden G20-Gipfels am 7. und 8. Juli begonnen. Die Sicherheitszone um die Messehallen erstreckt sich bis ins angrenzende Karolinenviertel. „Insgesamt wird es 14 Kontrollstellen geben“, sagte Polizeipressesprecher Timo Zill.
Man habe dabei die zwei vorab gegebenen Versprechen eingehalten: die gesperrten Flächen so klein wie möglich zu halten und keine hohen Zäune zu nutzen. Stattdessen würden hüfthohe „typische Hamburger Gitter“ verwendet, so Zill. Am Messeingang Ost wurde zudem eine Fußgängerbrücke errichtet, um den Zugang für Pressevertreter zu vereinfachen.
Insgesamt sind laut Polizei in der ganzen Stadt 7,8 Kilometer Absperrgitter errichtet, um das Treffen der mächtigsten Staats- und Regierungschefs zu schützen."


Und weiter:
"Dienstanweisung: Bundeswehrsoldaten sollen während des G-20-Gipfels in Hamburg ihre Uniform meiden. Hintergrund ist die Sorge, dass Soldaten von Demonstranten angepöbelt oder angegriffen werden könnten."

Die FZ schreibt vor wenigen Minuten:
"Die Stadt Hamburg steht Kopf. Schon seit Tagen gibt es Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten im Protestcamp auf der Halbinsel Entenwerder. Von diesem Mittwoch an plant das Bündnis „NoG20“ dann Demonstrationen in der ganzen Stadt. Knapp 20.000 Polizisten sind dafür abgestellt. Die wiederum hoffen, dass die Demonstrationen die mächtigsten Männer und Frauen der Welt gar nicht erst erreichen. Am Donnerstag landen die ersten Staats- und Regierungschefs in Hamburg, am Freitag beginnt offiziell das Gipfeltreffen auf dem Messegelände. Rund herum hat die Polizei großzügig eine Sperrzone inklusive Demonstrationsverbot errichtet.
Drinnen, auf dem Messegelände selbst, wird das Treffen zum großen diplomatischen Schaulaufen. Unter der Beobachtung von 4800 akkreditierten Journalisten im Medienzentrum werden der amerikanische Präsident Donald Trump und der russische Staatspräsident Wladimir Putin zum ersten Mal aufeinandertreffen. Andere hingegen haben sich schon beim G-7-Gipfel Ende Mai in Taormina gesehen: der französische Präsident Emmanuel Macron, die britische Premierministerin Theresa May, ihr japanischer Amtskollege Shinzo Abe und die beiden Vertreter der Europäischen Union, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Beispiel.

Das Treffen in Taormina endete in einem Eklat. Denn am Ende hieß es 6:1 - Donald Trump gegen alle anderen, vor allem in Sachen Klimaschutz. Selbst Angela Merkel - sonst nicht besonders bekannt für deutliche Worte - sprach von einem „sehr unzufriedenstellenden“ Ergebnis. Die Einer-gegen-alle-Konstellation fand sich anschließend auch im Abschlusskommuniqué.

Beim sehr viel formaleren Treffen in Hamburg wird es darum gehen, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, der anschließend in einer Abschlusserklärung mündet. Die Kanzlerin dämpft die Erwartungen: „Wir kennen ja bestimmte Positionen der amerikanischen Regierung, und ich erwarte nicht, dass wegen einer zweitägigen Reise nach Hamburg diese Positionierungen ausgesetzt werden und sich im Kommuniqué plötzlich wiederfinden.“ Und dennoch: Dass der Gipfel stattfinde, sei „in einer Zeit, in der viel Sprachlosigkeit herrscht, schon ein Wert an sich“, sagte sie der „Zeit“. Die wichtigsten Themen: "Weltwirtschaft und Handel"
Traditionell stehen Fragen des Freihandels ganz oben auf der politischen Agenda der G20. Die Länder repräsentieren rund 90 Prozent der Weltwirtschaft. Die Vereinigten Staaten haben sich in den vergangenen Monaten allerdings zunehmend isoliert mit ihrer America-First-Politik. Auch Angela Merkel hat kurz vor dem Gipfel noch einmal die amerikanische Regierung scharf kritisiert. „Während wir Möglichkeiten der Zusammenarbeit zum allseitigen Nutzen suchen, wird die Globalisierung in der amerikanischen Administration eher als ein Prozess gesehen, in dem es nicht um Win-win-Situationen, sondern um Gewinner und Verlierer geht", sagte sie der „Zeit“. Auch von China verlangt sie einen besseren Marktzugang für deutsche Unternehmen. Das Land ist der fünftgrößte deutsche Handelspartner."


Da entstehen bei mir schon Fragen.
Zunächst eine erste Frage. Kann es bei der Globalisierung nur Gewinner geben?
Dann die zweite Frage. Was stimmt da nicht in Deutschland, wenn man Zäune bauen und mit riesigen Polizeiaufgeboten die Staatsoberhäupter schützen muss ? Was stimmt da nicht, wenn die Bundeswehr in Hamburg ihre Uniform meiden soll?
Und die dritte Frage. Hängen die Fragen eins und zwei miteinander zusammen? :-)
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Re: Was stimmt da in Deutschland nicht?

Beitragvon Peter am Do 6. Jul 2017, 10:49

Es ist wie immer die Sache mit der Angst!

Wer fürchtet da die Angst des Volkes und warum?

Angst, wenn sie nicht lähmend ist, ist wie alle Gefühle ein starker Motivator. Liebe, Mitleid, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Unzufriedenheit und eben auch Angst sind in der Geschichte immer die Triebkräfte für Veränderungen gewesen.

Es ist ganz klar, dass diese Angst des Volkes und die in Aussicht stehenden Veränderungen von jeder Regierung und jeder politischen Klasse, die Macht ausübt gefürchtet wird, wie vom Teufel das Weihwasser.

Jede Regierung und jede politische Klasse möchte ruhige, alles hinnehmende, nichts in Frage stellende Menschen. Menschen, die keine Motivation zur Veränderung haben. Denn vor denen haben sie unbändige Angst. Denn sie drohen ihnen das zu nehmen, was am Wichtigsten ist: Die Macht.

In Deutschland und anderen europäischen Staaten ist die Angst noch "gespalten". Ein Teil der Menschen hat Angst vor Veränderungen, dass sie nicht das, was ihnen in unterschiedlicher Ausprägung geblieben ist verlieren oder wie im Osten Deutschlands, schon wieder verlieren möchten. Ein anderer Teil der Menschen dagegen sieht sehr wohl, dass die voranschreitende Globalisierung eben nicht nur Gewinner, sondern auch viele Verlierer mit sich bringen wird, da sich der Spalt zwischen Arm und Reich immer mehr weitet, eine Konzentration und Zentralisation von Kapital und Reichtum auf einer Seite und der anderen Seite zunehmende und vor allem vermehrte Armut herstellt. So ist u. a. auch zu erklären, warum sich in Deutschland plötzlich auch Handwerker und Gewerbetreibende, mittelständische Unternehmer gegen den Prozess der Globalisierung, z. B. gegen TTIP stemmen. Damit ist auch zu erklären, warum sich eine Spaltung des Volkes in den USA vollzieht. Wer hat die Bilder nicht mehr vor Augen, als eine ganze Generation der kleinen Gewerbetreibenden, der Handwerker und Mittelständler in den USA vor dem Nichts standen, plötzlich in der Finanzkrise alles verloren hatten und z. T. in Zelten ihr Leben fristeten. Das ist dort nicht in Vergessenheit geraten und macht in breiten Bevölkerungsschichten große und unbändige Angst. Die Argumentation, dass es sich hier ausschließlich um rechts-nationalistische Bewegungen handelt, ist viel zu kurz gegriffen oder aber nur eine verlogene Teilwahrheit. Z. B. viele junge Menschen die sich im Rahmen von Initiativen gegen die Globalisierung und Kriege wenden, sind weder rechts-nationalistisch noch links-radikal. Mittelständler und Gewerbetreibende, viele Menschen die mit wachem Auge durch die Welt gehen, wie unlängst zu den Demonstrationen gegen TTIP mit 500.000 Gleichgesinnten, waren wohl in ihrer Mehrheit nicht nationalistisch oder radikal. Eine solche Behauptung ist unseriös. Sie sehen lediglich, dass die Globalisierung nur sehr wenige Gewinner aber viele Verlierer haben wird.

Die Frage ist nur, ob und welche Alternative zur Globalisierung bestehen.
Peter
 
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Re: Was stimmt da in Deutschland nicht?

Beitragvon Grünrock am Mi 12. Jul 2017, 14:02

Ich habe Euch hier den offenen Brief eines Polizisten, der vor dem G20 Treffen geschrieben wurde, zum lesen veröffentlicht. Ein einfacher Polizist, der nach meiner Auffassung so einiges ausspricht, was viele nicht einmal zu denken wagen. Es ist seine Sicht auf die Dinge:

“Liebe Staats- und Regierungschefs, liebe Politiker in Uniform und liebe hochrangig besoldete Mitarbeiter:
Ich bin Ende 30 und Polizeibeamter. Ich versehe meinen Dienst derzeit auf einem Stadtrevier im Streifendienst, vorher habe ich einige Zeit in der Bereitschaftspolizei meines Bundeslandes den Dienst versehen. Mittlerweile bin ich seit über 15 Jahren bei der Polizei.
Ich habe durchaus gelernt, auch mal gegen meine Überzeugung zu arbeiten. Wenn ich zum Beispiel die Ablagerung von Atommüll durchsetze oder verfassungsfeindlichen Organisationen zu ihrem Recht auf Versammlung verhelfe. Ich habe Gewalt aus allen (un)politischen Richtungen erlebt, wurde bei Einsätzen verletzt und habe fast das ganze Programm bekommen, was man in diesem Beruf erleben kann. Ich weiß also, dass es nicht immer nur angenehme Aufgaben sind, die meine Kollegen und ich bewältigen.
Der von Ihnen geplante G20 setzt all diesen Dingen jedoch die Krone auf. Allein die Kosten, die vermutlich erst nach dem Gipfel abzusehen sein werden, sind eine einzige Frechheit. Soll allein die GeSa (Gefangenensammelstelle) tatsächlich über vier Millionen Euro kosten? Ihr Ernst?
Ich lade Sie gern ein, wenn Sie noch einen Programmpunkt zwischen teurem Essen und Konzertbesuch frei haben, mal eine Schicht im Streifendienst zu begleiten. Schauen sie sich gern Familien am Rande der Gesellschaft an, die wir in polizeilichen Einsätzen oft erleben.
Die Menschen, die ohne Obdach auf der Straße (er)frieren, oder die, die sich beim Discounter um die Ecke eine Packung Toastbrot und Käse klauen, um den Kindern Brote für die Schule zu machen. Ist es tatsächlich ihr Ernst, solche Schicksale tagtäglich zu dulden, um an zwei Tagen Milliarden von Euro für Ihr belangloses Stelldichein zu verschwenden, die in unseren sozialen Systemen besser angelegt wären?
In dem Bereich in dem ich arbeite, gibt es mittlerweile eine Obergrenze dafür, wie viele Streifenwagen nachts im Einsatz sein dürfen. Wer die davor vorgenommenen Änderungen im Bereich der Sonderzahlungen (Nachtdienste, DzuZ) mal beleuchtet, wird schnell feststellen, dass dort Kostengründe dahinter stecken.
Und nun werden wieder Millionen von Euro in Sachen Sicherheit in nur ein paar Tagen, für ein Event von ein paar Stunden, verheizt?
Wie gut könnte man das Geld in den Pflegeeinrichtungen oder in der Flüchtlingsarbeit gebrauchen? Ich will jetzt nicht die ganz große Keule schwingen, aber bedenken sie bei Ihren teuren Gängemenüs, dass täglich durchschnittlich 40.000 Kinder in Entwicklungsländern verhungern. Machen Sie sich mit vollem Bauch bewusst, dass es Ihre Aufgabe wäre, diesen Umstand zu ändern!
Eine komplette Stadt wird lahmgelegt, damit Sie, liebe Staatschefs, Ihre Partner und Freunde, drei schöne Tage in der Hansestadt Hamburg verbringen. In meiner Ausbildung habe ich mal etwas über “Erforderlichkeit” und “Verhältnismäßigkeit” gelernt, nach deren Vorhandensein polizeiliche Maßnahmen geprüft werden sollen.
Verraten Sie mir, welchen Durchbruch erwarten Sie auf Ihrer kleinen Klassenfahrt, dass man tausende Bürger in ihren Grundrechten einschränkt, Gewerbetreibenden finanzielle Einbußen zumutet und hunderte Menschen zeitweise in ihren Wohnungen einsperrt? Wie kommen sie darauf, die Grundrechtseingriffe und Maßnahmen, die sie den Bürgern zumuten und durchsetzen lassen, seien irgendwie verhältnismäßig, erforderlich oder sinnvoll?
Wir wissen doch alle, dass Ihr milliardenschwerer Ausflug keinen Konflikt der Welt entschärfen, keine Hungerkrise lösen und kein Heilmittel für eine tödliche Krankheit liefern wird. Nach diesem katastrophalen G7, auf dem nicht ein Problem wirklich angegangen wurde, von dem lediglich Nachrichten über verschärfte Töne und zu fest geschüttelte Hände geblieben sind.
Was denken Sie, werden Sie auf dem G20 alles erreichen? Ich bin gespannt.
Was hier an Personal auf die Straße gebracht wird ist sehr beachtlich. Meine Dienststelle ist personell derart ausgelutscht, dass man sich auf genommene freie Tage leider kein Stück mehr verlassen kann. Fällt nämlich ein Kollege wegen Krankheit oder Verletzung aus, muss eigentlich fast immer jemand sein Dienstfrei streichen. Daher verfahren wir im Kollegenkreis nach dem Motto “bei Frei nicht erreichbar sein, möglichst spät krankmelden, damit niemand nachalarmiert werden kann”.
Aus dieser ohnehin schon nicht gesunden Situation werden jetzt noch über Wochen weitere Kollegen abgezogen, die verbleibenden Kollegen werden vermutlich in 12-Stunden- Schichten arbeiten (ist zu diesem Zeitpunkt nicht sicher) um den Betrieb auf den Revieren aufrecht zu erhalten. Während Sie, liebe Staatschefs, sich also schöne Tage mit der Familie machen, werden anderswo Familien und Ehen unzumutbar belastet.
Und das nur, damit Ihr Gipfel durchgeführt werden kann.
Mir ist durchaus klar, dass es bei uns auch “mal länger geht”. Bei Unfällen, Gewaltdelikten oder Tätern am Werk kurz vor Feierabend meckert niemand. Und auch bei hoffentlich nie eintretenden Großlagen oder Katastrophen verrichten wir gern unseren Dienst, dafür bin zumindest ich Polizist geworden.
Einfach mal da sein, wenn andere flüchten, in der Situation helfen können. Ich bin nicht zur Polizei gegangen um dafür zu sorgen, dass Menschen in überteuerten Anzügen noch teurer essen und Konzerte besuchen können, um das Ganze noch mit wichtigen politischen Anliegen zu rechtfertigen. Ihr Gelage erinnert mich bereits jetzt an Festlichkeiten in mittelalterlichen Burgen, während der gemeine Pöbel vor der erleuchteten Burg stehen muss.
Ich finde es eine bodenlose Frechheit, wie ignorant dieses Treffen geplant und gegen den Willen Hunderttausender Menschen durchgesetzt wird. Ich kann nur hoffen, dass sich so etwas sobald nicht wiederholen wird.
Mir und den anderen eingesetzten Kollegen wünsche ich eine einigermaßen entspannte Zeit, dass alle gesund bleiben und dass die gesammelten Überstunden in schönen freien Tagen wieder abgebummelt werden können.
Ich wünsche aber auch den Menschen, die zum Protest nach Hamburg kommen, ein gutes Gelingen. Ich hoffe, dass nicht Gewalt und Krawall die Nachrichten bestimmen, sondern dass die mit Sicherheit vielfältigen friedlichen Proteste wahrgenommen werden.
Ich persönlich halte diese in Anbetracht von so viel Ignoranz für sehr nötig!
Hören Sie, liebe Staatschefs, endlich auf, sich wie bockige Kinder auf dem Schulhof zu benehmen. Es sind nicht ihre Leben, die Sie hier zu Grunde richten!”
Grünrock
 
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Re: Was stimmt da in Deutschland nicht?

Beitragvon jop am Mi 12. Jul 2017, 14:23

Hier für Euch ein Beitrag aus dem Manager-Magazin

Warum Kapitalismus-Kritik immer mehr Anhänger findet

Von Christoph Rottwilm im Manager-Magazin

In Hamburg prallen zurzeit nicht nur Polizei und Demonstranten aufeinander, sondern auch Meinungen über das Weltwirtschaftssystem
Verbessert der Kapitalismus die Welt? Die Zweifel wachsen, ob unser Wirtschaftssystem wirklich den Wohlstand für alle fördert. Während gewalttätige Chaoten verurteilt werden müssen, verdienen diejenigen, die friedlich gegen Kapitalismus demonstrieren, durchaus Gehör.
G20-Gipfel in Hamburg - da prallen nicht nur auf den Straßen der Hansestadt Welten aufeinander, wo sich schon seit Anfang der Woche Polizei und Demonstranten unversöhnlich gegenüberstehen. Auf der einen Seite die Befürworter des Kapitalismus, und auf der anderen dessen Gegner - so lässt sich, stark vereinfacht, die Gemengelage aus ökonomischer Sicht beschreiben.

Aber wer hat recht? Es hilft zunächst ein Blick auf die Grundzüge der Argumentation.

Die Freunde des Kapitalismus sagen: Versehen mit den richtigen Regeln und Rahmenbedingungen kann dieses Wirtschaftssystem zu mehr materiellem Wohlstand für alle führen. Und davon profitieren angeblich insbesondere auch jene, die selbst am wenigsten zu eigener wirtschaftlicher Leistung imstande sind.

Dagegen halten die Kapitalismus-Gegner (ebenfalls stark vereinfacht): Dieses System basiert auf Egoismus und der Maximierung des persönlichen Nutzens. Das hat zur Folge, dass einige wenige Privilegierte die große Mehrheit der Bevölkerung ausbeuten, um sich selbst immer weiter zu bereichern. Weil dabei der materielle Profit so sehr im Zentrum des Strebens steht, kommen zudem die eigentlich wichtigeren Ziele der Gesellschaft wie die Verbesserung des Gemeinwohls oder der Schutz des Lebensraums Umwelt allzu häufig zu kurz.

Wohlstand ist ungleich verteilt - und die Erde wird ausgebeutet

Soweit die Theorie, in der, wie es scheint, beide Seiten einen Punkt machen. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Lebenssituation vieler Menschen verbessert, und ein Grund dafür war zweifellos das Wirtschaften auf größtenteils kapitalistischen Grundlagen, inklusive voranschreitender Globalisierung. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Denn der genaue Blick zeigt die Schattenseiten dieser Entwicklung. Viele Probleme in der Welt - auch wirtschaftliche - sind nicht nur noch immer ungelöst, sie scheinen sich zum Teil vielmehr sogar zu verschärfen. Ein Beispiel ist die materielle Ungleichverteilung in der Weltbevölkerung, ein anderes der voranschreitende Klimawandel.
Der Grund für diese Missstände: Der Kapitalismus hat tatsächlich, wie von seinen Kritikern betont, einige grundlegende Charakterzüge, die für sein dauerhaftes Bestehen unabdingbar scheinen. Diese Merkmale jedoch tragen bestenfalls zum Erfolg einzelner Individuen in dem System bei. Dem Allgemeinwohl dagegen sind sie alles andere als zuträglich - eher schaden sie ihm.

Die wohl wichtigsten Schwächen lassen sich auch an der Börse, der Herzkammer des kapitalistischen Systems, gut beobachten.

Keine Moral, keine Vernunft, keine Gemeinschaft

Keine Moral

Um die Situation einzelner Menschen sowie der Allgemeinheit verbessern zu können, ist es notwendig, zu definieren, was eigentlich "gut" und was "schlecht", was "richtig" und was "falsch" ist. Eine Gesellschaft, die positiv vorankommen will, benötigt also bestimmte Wert- und Moralvorstellungen.
Das wirtschaftliche Geschehen im Allgemeinen und der Aktienhandel im Speziellen kennen jedoch keine Moral. Stattdessen steht in der Regel der wirtschaftliche Erfolg, gemessen an Umsatz und Profit, im Vordergrund.

Bester Beleg dafür: Kriegsgegner kritisieren milliardenschwere Rüstungsdeals, wie sie beispielsweise der amerikanische Präsident Donald Trump vor einigen Monaten in Saudi-Arabien abschloss, weil diese letztlich zu Leid und Tod vieler Menschen beitragen werden. Die Aktienkurse amerikanischer Rüstungsfirmen wie Northrop Grumman Börsen-Chart zeigen, Lockheed Martin Börsen-Chart zeigen oder Raytheon jedoch zogen nach Abschluss der Verträge kräftig an. Denn es gibt nicht wenige Investoren, die bei den Waffengeschäften der Konzerne mitverdienen wollen.

Weitere Beispiele, die zeigen, dass Moral in der Wirtschaft allzu häufig nur eine Rolle spielt, solange sie dem kommerziellen Erfolg nicht im Wege steht, lassen sich mühelos finden: Seien es die Geschäfte der Banken, die zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 geführt haben, seien es die Geschäfte, die Konzerne in China machen, obwohl dort Menschenrechte nach wie vor missachtet werden, sei es nicht zuletzt auch Volkswagens Abgasskandal.

Dazu passend äußerte sich jüngst auch der Münchener Soziologe Stephan Lessenich in einer Titelgeschichte des SPIEGEL, demzufolge es ein verhängnisvolles Nord-Süd-Gefälle in der Welt gibt. Die Bürger im Norden lebten auf Kosten der Menschen im Süden, sagt er. Sie lagerten die schmutzigen Teile der Produktion einfach zu ihnen aus. "Unser Überfluss raubt anderen die Lebensgrundlage", so der Wissenschaftler.

Keine Vernunft

Die Fähigkeit zu vernünftigem Verhalten ist etwas, das den Menschen von den meisten anderen Lebewesen unterscheidet, und das es ihm ermöglicht, bewusst und gezielt die Lebensumstände jedes Einzelnen und der Allgemeinheit zu verbessern - jedenfalls theoretisch. Vor allem in der wirtschaftlichen Praxis wird menschliches Verhalten von Vernunft jedoch lediglich in etwa so selten geleitet, wie von ausgeprägten Moralvorstellungen. An ihre Stelle tritt vielmehr das Streben nach Profit.
Ein Beleg dafür: In einer rein auf vernünftigen Entscheidungen basierenden Welt könnten Waffenhersteller in den USA ihre Produkte wohl schon längst nicht mehr an jedermann verkaufen, würden auch Konzerne wie Coca-Cola oder McDonald's sowie die komplette Tabakindustrie sicher keine Milliardenumsätze machen, und wäre die Rüstungsbranche weltweit längst kollektiv in die Pleite entschwunden.

Keine Gemeinschaft

Das dürfte das eigentlich größte Manko des kapitalistischen Wirtschaftssystems sein: Es basiert nicht auf dem Grundgedanken des Miteinander, sondern des Gegeneinander. Das dabei auf Dauer vor allem Vorteile für einzelne Parteien und weniger für die gesamte Gesellschaft entstehen können, liegt auf der Hand. Auch US-Präsident Donald Trump richtet seine Außen- und Wirtschaftspolitik darauf aus, bei jedem "Deal" den größtmöglichen Nutzen für die USA herauszuschlagen.

Globale Konzerne kassieren Milliarden - und vermeiden Steuern

Firmen und andere Akteure des Wirtschaftslebens versuchen zwar gerne, darüber hinweg zu täuschen, doch das ändert nichts daran: In der Wirtschaft ist jeder sich selbst der nächste. Schlimmer noch: Jeder kämpft gegen jeden. Unternehmen gegen den Staat (beispielsweise, wenn es darum geht, mit bestmöglichen Firmenkonstruktionen à la Apple Börsen-Chart zeigen, Google Börsen-Chart zeigen oder Facebook Börsen-Chart zeigen so viel wie möglich Steuern zu sparen). Unternehmenslenker gegen ihre Mitarbeiter (beispielsweise bei der Verteilung der Erträge, bei der etwa im deutschen Aktienindex Dax die Vorstandsmitglieder 50 mal mehr abbekommen als die Vertreter der einfachen Belegschaft). Oder einzelne Unternehmen sogar gegen ihre Kunden (beispielsweise bei der Gestaltung von Produktwerbung am Rande der Irreführung, durch die Konsumenten zu Käufen von Dingen veranlasst werden sollen, die sie eigentlich gar nicht brauchen). Kein Kaufvertrag käme zustande, keine Dienstleistung in Anspruch genommen, wenn sich dabei nicht stets zwei Parteien gegenüberstünden, von der jede das Gefühl hat, der Deal wäre vor allem zum eigenen Vorteil.

Auch dieser Punkt lässt sich an der Börse besonders gut demonstrieren: Der Aktienmarkt ist zwar theoretisch transparent und eröffnet allen die gleichen Chancen. In Wahrheit gibt es aber kaum einen Ort, an dem es mehr darum ginge, Gewinne auf Kosten anderer zu machen, als die Börse.

Aktuelles Beispiel: Die Commerzbank Börsen-Chart zeigen. Am Freitag wurde bekannt, dass der US-Investor Cerberus einen Einstieg bei dem Geldinstitut erwägt, was dem Aktienkurs spontan ein Plus von rund 3 Prozent verschaffte. Auffällig ist allerdings auch, dass die Aktie in den Tagen zuvor, als die Nachricht offiziell noch gar nicht auf dem Markt war, bereits um mehr als 15 Prozent zugelegt hat. Wussten da womöglich wenige bereits, was die meisten anderen noch nicht wussten?

Kurzum: Keine Moral, keine Vernunft, keine Solidarität - diese drei großen Schwächen muss sich der Kapitalismus anlasten lassen. Selbstverständlich ist zwar jedes System nur so gut, wie die Menschen, die es mit Leben erfüllen. Es kommt also stets auf jeden einzelnen an, sich moralisch korrekt, vernünftig und solidarisch gegenüber seinen Mitmenschen zu verhalten.

Dennoch: Ein auf Dauer funktionierendes Wirtschaftssystem, in dem die menschlichen Schwächen keine so verheerenden Folgen haben könnten, wäre zweifellos wünschenswert. Es wurde nur leider noch nicht erfunden.


Schon eine ordentliche Analyse - sicher mit einigen Schwächen. Dennoch fällt das Fazit schwach aus. Die Menschen werden immer nach dem Besseren und Gerechterem suchen und solches auch finden. Die Weltgeschichte bleibt nicht stehen - denn "die Erde dreht sich" wohl doch.
jop
 
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