Bis zum Hals im Schuldensumpf

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Bis zum Hals im Schuldensumpf

Beitragvon sachsenjäger am Mi 21. Aug 2013, 18:09

Seit Jahren halten sich viele deutsche Städte und Gemeinden mit einer Art Dispo über Wasser. Was nur als Zwischenfinanzierung gedacht ist, ist für klamme Kommunen längst zur Standard-Geldquelle geworden – und könnte ihnen das Genick brechen. FOCUS Online zeigt die größten Pleitekommunen.
In den Jahren 2007 bis 2011 ist die Gesamtverschuldung der Städte und Gemeinden von 111 auf 130 Milliarden Euro gestiegen. Das geht aus dem Kommunalen Finanzreport 2013 der Bertelsmann Stiftung hervor.

Das allein wäre schon schlimm genug. Doch problematisch ist vor allem, woher die Kommunen das Geld nehmen. „Für diesen Anstieg sind überwiegend höhere Kassenkredite verantwortlich“, so die Bertelsmann Stiftung. Die Höhe dieser Kredite ist drastisch angestiegen: 2007 hätten sie mit 29 Milliarden noch rund ein Viertel der Gesamtschulden ausgemacht. Bis Ende 2011 waren es schon 34 Prozent (44 Milliarden Euro).

Warum das so gefährlich ist? Bei den Kassenkrediten handelt es sich um Bankkredite, mit denen sich die Kommunen eigentlich nur kurzfristig behelfen sollen: nämlich dann, wenn sie Ausgaben haben, deren Gegenfinanzierung – in Form von Einnahmen – fest im Haushaltsplan vorgesehen, aber noch nicht eingetroffen ist. Es handelt sich also quasi um eine Vorfinanzierung. Getilgt werden die Kredite nach Eingang der entsprechenden Einnahmen. Soweit die Theorie. In der Praxis finanzieren viele Kommunen mit Kassenkrediten seit Jahren ihre laufenden Kosten – und die Schuldenberge wachsen.
Jeder Saarländer steht mit 1754 Euro in der Kreide
In den drei „Kommunal-Finanzkrisenländern“ Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland seien die Kassenkredite mittlerweile zu einer „Dauereinrichtung auf hohem Niveau avanciert“, heißt es in der Studie weiter. Im Saarland beispielsweise ist jeder Einwohner im Schnitt mit 1754 Euro über Kassenkredite verschuldet. Zum Vergleich: In Sachsen, das seine Kassenkredite zwischen 2007 und 2011 als einziges Bundesland reduzieren konnte, sind es lediglich 13 Euro pro Einwohner.

Die Bertelsmann Stiftung befasst sich mit Gesellschaftsfragen.
„Diesen Krediten stehen keinerlei Werte oder Investitionen gegenüber“, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung. Im Gegenteil: Mit steigenden Krediten schrumpfe nachweislich auch der Spielraum für Investitionskredite – beispielsweise für den Bau und die Instandhaltung von Schulen und Straßen. In Ländern mit steigenden Kassenkrediten wie Nordrhein-Westfalen und dem Saarland lägen die kommunalen Bauausgaben mittlerweile ein Drittel unter dem Bundesdurchschnitt.

Deutschlands Pleite-Kommunen
Der Studie zufolge entfiel mehr als die Hälfte der gesamten Kassenkredite der Kommunen im Jahr 2011 auf nur 30 Städte und Landkreise – davon 19 in Nordrhein-Westfalen und keine in den östlichen Bundesländern.

Ein wenig glorreiches Beispiel: „Die Stadt Essen ist durch Kassenkredite (2,16 Milliarden Euro) mehr als drei Mal höher verschuldet als alle bayerischen, sächsischen und baden-württembergischen Kommunen zusammen“, heißt es bei der Bertelsmann-Stiftung. Oberhausen kommt auf eine Pro-Kopf-Verschuldung mit Kassenkrediten von 6870 Euro, Pirmasens auf 6215 Euro, Kaiserslautern auf 6040 Euro.

Die Kassenkredite treiben den Schuldenstand vieler Städte und Gemeinden in die Höhe, weil die Einnahmen den Ausgaben nicht hinterherkommen. Beim Blick auf den sogenannten Kommunalen Finanzierungssaldo für das Jahr 2011 tun sich große Unterschiede zwischen den Bundesländern auf: Sechs Länder haben demnach Überschüsse erwirtschaftet, sieben Länder weisen Defizite auf.

Die Spaltung in reiche und arme Kommunen vertiefe sich, kommentierte Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmannstiftung. „Viele Städte scheinen in einer Abwärtsspirale aus Überschuldung, Abwanderung und sinkender Attraktivität gefangen.“ Dabei sei die genaue Höhe des Defizits schwer zu erkennen, weil fast 60 Prozent der Schulden ausgelagert wurden, etwa in Beteiligungen an Versorgungs- oder Wohnungswirtschaftsunternehmen, heißt es in dem Finanzreport.

Den höchsten Überschuss im Finanzierungssaldo erreichten – wenig überraschend – die wirtschaftsstarken Länder Baden-Württemberg und Bayern. Darüber hinaus haben es aber nur die Gemeinden und Gemeindeverbände in den neuen Ländern Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern geschafft, Überschüsse zu machen.
Geldschulden nicht durch Vermögen gedeckt

Die höchsten Defizite verbuchten die bereits genannten Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und das Saarland sowie die hessischen Kommunen; wobei in Hessen auch einige Sondereffekte den Saldo drücken, so die Bertelsmann Stiftung.

Analog zu den enormen Spannweiten beim Saldo fallen auch die Unterschiede bei den Einnahmen der Kommunen groß aus: In Baden-Württemberg, Bayern und Hessen sind die Steuern und Abgaben pro Einwohner mehr als doppelt so hoch wie am Ende der Skala in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Brisanz der Finanzlagen der Bundesländer wird schließlich deutlich, wenn man die kommunalen Finanzvermögen und ihre Geldschulden ins Verhältnis setzt. Hier sieht es für die Städte und Gemeinden sämtlicher Bundesländer duster aus – mit Ausnahme Baden-Württembergs: Nur dort sind die Schulden durch das Finanzvermögen gedeckt.
Am dramatischsten ist der Studie zufolge das Verhältnis zwischen Finanzvermögen und Schulden im Saarland. Hier war das Finanzvermögen bereits im Jahr 2010 mehr als sechs Mal kleiner als die korrespondierende Schuldenposition. Im Jahr 2011 habe sich die Lage des kleinsten Flächenlandes nochmals dramatisch zugespitzt.

Im Kommunalen Finanzreport analysierte die Bertelsmann-Stiftung die kommunalen Haushalte auf der Einnahme- oder Ausgabeseite. Ihm liegen amtliche Statistiken des Statistischen Bundesamtes zu Grunde. Aus Gründen der schlechten Vergleichbarkeit wurden die Stadtstaaten nicht in die Analyse einbezogen.

Städte und Gemeinden werden dabei nicht alle einzeln aufgelistet, sondern – mit Ausnahme der 15 am stärksten verschuldeten Kommunen – zu Länderanalysen zusammengefasst. Damit will die Bertelsmann Stiftung „strukturelle Unterschiede zwischen den Ländern“ aufdecken.

Informationen und Kennzahlen zur Finanzlage einzelner Kommunen (oberhalb von 5000 Einwohnern) finden Sie beim Bertelsmann-Infoportal „Wegweiser Kommune“.
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