Zock-Verbot für Gemeinden

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Zock-Verbot für Gemeinden

Beitragvon Grünrock am Di 21. Feb 2012, 11:40

Zinswetten: Regierung plant Zock-Verbot für Gemeinden

Etwa 40 Kommunen in Sachsen haben sich auf hochriskante Finanzgeschäfte eingelassen. Das Innenministerium will nun ein Spekulationsverbot in die Gemeindeordnung aufnehmen. Am 16. März wird derweil die erste Klage eines sächsischen Kreises gegen eine Großbank verhandelt.

Wie berichtet, klagt der Kreis Mittweida wegen mangelnder Beratung gegen die Landesbank -Baden-Württemberg (LBBW). Es geht um ein hochspekulatives „Zinsswap“-Geschäft des Altkreises Mittweida. Wegen der Finanzkrise explodierten die Kosten - allein bis Dezember lag der Verlust bei 400.000 Euro. Ab 16. März verhandelt das Landgericht Stuttgart die Klage - Landrat Volker Uhlig (CDU) reist persönlich hin.

Zock-Meister ist Riesa - die Stadt müsste wohl einen zweistelligen Millionenbetrag aufbringen, um die Verträge sofort aufzulösen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen Untreue gegen Riesas Kämmerer Markus Mütsch (CDU). Staatsanwalt Jan Hille: „Die Ermittlungen dauern an. Es müssen viele Zeugen vernommen werden.“

Das Innenministerium empfiehlt allen Städten und Kreisen, Schadensersatzansprüche gegenüber Banken zu prüfen. Außerdem sei eine klarstellende gesetzliche Regelung nötig: Daher soll jetzt ein generelles Spekulationsverbot für kommunale Finanzgeschäfte in der Gemeindeordnung festgeschrieben werden - also für Swap-Geschäfte, die nur den Zweck haben, auf bestimmte Marktentwicklungen zu wetten. Der Gesetzentwurf liegt bereits dem Landtag vor. (mor)
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Re: Zock-Verbot für Gemeinden

Beitragvon Kaktusblüte am Di 21. Feb 2012, 12:08

Das Thema ist lange bekannt, endlich wird wenigstens in Sachsen gehandelt!

Hintergrund: Zinsgeschäfte zwischen Bank und Kommune

Es geht um so genannte "Spread-Ladder-Swaps". Stellen Sie sich vor, Sie seien Kämmerer Ihrer Kommune und müssten entscheiden: gehen Sie ein solches Geschäft zur "Absicherung" von Zinsen - oder zum sicheren Mehrgewinn - ein oder lassen Sie es bleiben?

Leider haben etliche Kämmerer und Finanzmanager sich an diesem Konstrukt bereits verhoben. Zumindest 1.000 Kommunen und Unternehmen sollen nach Schätzungen solche Geschäfte zur "Zinsoptimierung" abgeschlossen haben.

Für Interessierte: so geht's

Wenn ich aber den Begriff hier schon aufführe, bin ich Ihnen natürlich eine kurze Beschreibung schuldig. Die "Spread-Ladder-Swaps" gelten als "komplex". Und das sind sie.

Ich beschränke mich hier auf den Kern der Wetten. Auf der einen Seite steht die Bank (A). Auf der anderen Seite eine Kommune oder ein Unternehmen (B). A zahlt an B einen festen Zins. B zahlt an A nach einer Formel, die A selbst festgeelgt hat, einen variablen Zins zurück: je nach Höhe des Unterschieds zwischen lang- und kurzfristigen Zinssätzen. Damit pflanzt sich ein Unterschied im ersten Jahr in die Folgejahre fort. Deshalb heisst die Strategie "Ladder", Leiter.

B gewinnt in der Regel dann, wenn die langfristigen Zinsen höher sind als die kurzfristigen Zinsen, da der Rückzahlungsbetrag dann "niedrig" ist. Je geringer aber der Abstand zwischen langfristigen Zinsen und kurzfristigen Zinsen ist, oder übersteigt der kurzfristige Zins sogar den langfristigen Zins, muss B mehr zahlen. A aber hat einen "Hebel" in die Formel eingebaut, der dann zuschlägt. Bei diesem geringen Abstand zwischen kurz- und langfristigen Zinsen, der als "unnormal" gilt, drohen schnell gehebelte Großverluste, die "B" trägt.

Mit anderen Worten: wenn Sie in der falschen Kommune wohnen oder Ihren Unternehmenssitz haben, hat Ihre Verwaltung mit Ihrem Geld Hebelprodukte auf die Wette gekauft, dass die Zinsstruktur "normal" bleibt.

Mutiges Investment?

Das ist mutig zu Ihren Lasten. Menschen auf Behörden entscheiden darüber, wie die Zinsstrukturkurve der nächsten Jahre aussieht. Damit beschäftigen sich übrigens Spezialisen in Unternehmen mit hohem Dollar- oder Exportanteil auch, etwa bei Luftfahrtgesellschaften.

Die versuchen dann, optimale Sicherungsgeschäfte für Währungen abzuschließen. Im Unterschied zur Finanzverwaltung jedoch haben die kaum andere Aufgaben.

Bemerkenswert allerdings finde ich, dass jetzt die Banken schuld sein sollen. Die Produkte sind brandgefährlich, aber ich erinnere an meine Eingangsfrage: "Spread-Ladder-Swaps" - investieren Sie oder lassen Sie es bleiben. Wer so etwas kauft und nicht weiß, was er tut, kann den Gegenspieler kaum verantwortlich machen.

Milliarden-Loch: mehrere Milliarden in Gefahr

Jetzt ist das Kind bereits für viele Kommunen in den Brunnen gefallen. Die Zinsstrukturkurve blieb leider nicht normal. Und damit wuchsen die Verluste. Das Geschäft insgesamt, also nicht die Verluste, umfasst einen Betrag von 63,7 Milliarden Euro, teilten die Banken kürzlich mit.

1.556 Verträge sowie 1.104 Verträge mit weiteren kommunalen Organisationen - Unternehmen oder den berühmten Zweckverbänden - stehen auf dem Spiel. Laut einem Bericht vom "Handelsblatt" rechnet ein Insider damit, dass zumindest 2/3tel der Geschäfte solche komplexten Zinswetten gewesen sind. Die Hälfte davon brachte demnach Verluste.

Einmal kurz nachgerecht: 40 Milliarden Euro werden die Geschäfte damit mindestens groß sein. Die Hälfte davon sind 20 Milliarden Euro Verlust. Das alles in unseren Kommunen - das wird sicher sehr teuer.

Risiko meiner Schätzung nach: zumindest 15 Milliarden Euro

Ordnen Sie die Summe ein, ergibt sich ein erschreckendes Bild: Dies entspricht der Hälfte der Neuverschuldung vom Bund - innerhalb von nur einem Jahr. Verzockt und weg.

Viele dieser Geschäfte sind weder aufgeflogen noch schon verarbeitet. Es rollen daher riesige Verlustwellen auf diverse Kommunen zu. Die Politik empfiehlt nunmehr, gegen die jeweiligen Banken zu klagen. Aus meiner Sicht ist das schon etwas problematisch. Um überhaupt eine Chance auf ein gerichtlichen Vorteil zu haben, müsste eine Kommune eingestehen, dass sie das Geschäft nicht verstanden hat. ;)

Ahnungslose Kommune :oops:

Sind Sie "Opfer" einer solchen Kommune, werden Sie auf die eine oder andere Weise mitfinanzieren müssen. Höhere lokale Steuern oder Abgaben sind die Folge, Gebührenerhöhungen müssen Sie zudem auf jeden Fall einkalkulieren. Dies betrifft alles, wonach Kommunen greifen können.

Weniger zwingend belastendes wie Schwimmbad-Gebühren oder Bücherei-Gebühren bis hin zu Dienstleistungen, gegen die Sie sich kaum wehren können. Also: die Müllabfuhr oder Gebühren auf dem Amt.
Kaktusblüte
 
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